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W wie Wille

Das Recht wütend zu sein

„Heute nehme ich zwei Joghurts mit in den Kindergarten.“ Bjarne steht am geöffneten Kühlschrank und seine Augen verraten: Das ist ein Test. Gelingt es ihm, zukünftig den Inhalt seiner Frühstücksdose selbst zu bestimmen? Susanne kennt ihren Sohn und weiß, was sie jetzt zu erwarten hat: Das gesamte Repertoire, das der Vierjährige meisterlich beherrscht, um seinen Willen durchzusetzen. Es reicht von einem einschmeichelnden „Bitte, Mama!“ über das Mimen von Mitleid erregender Zerknirschung bis zum letzten Mittel: „Terror“. Mit Gekreisch und Gestrampel.

Der Aufstand der Zwerge

Ein Joghurt oder zwei? Es geht um nichts und dennoch geht es um alles an diesem Morgen vor dem Kühlschrank: Was wird der nächste Anlass sein für Bjarnes Trotzanfälle? Was, fragt sich die Mutter, wird ihr Sohn erst mit vierzehn anstellen? Susanne will aus einem Fruchtzwerg keinen Elefanten machen. Doch sie weiß, dass es nicht gut ist, Bjarne zu sehr zu verwöhnen und er lernen muss, dass er seinen Willen nicht immer durchsetzen kann. Zum Glück hat sie an diesem Morgen Spätschicht und Zeit, mit ihrem Sohn die Joghurt-Sache in Ruhe zu klären.

Kinder brauchen Grenzen

Es ist wichtig, dass Kinder Grenzen kennen lernen. Deshalb ist es gut, wenn Eltern mit ihrem Kind klare Regeln vereinbaren, und es vorher weiß, wie weit es gehen darf. Sagt die Mutter zum Beispiel „Nein“, dann weiß Bjarne, dass hier eine Grenze ist: Der zweite Jogurt bleibt im Kühlschrank, es wird nicht weiter gequengelt. Genauso weiß der Vierjährige zum Beispiel, dass er die vielbefahrene Straße zum gegenüberliegenden Spielplatz noch nicht allein überqueren darf. Hält er sich nicht an die vereinbarten Regeln, muss er spüren, dass er etwas Verbotenes getan hat: Zum Beispiel fällt dann der geliebte Spielplatzbesuch an diesem Tag aus.

Kindern fällt es leichter, mit den Menschen und der Welt auszukommen, wenn sie frühzeitig lernen, dass es nicht immer nach ihrem Willen geht. Gleichwohl sind das Entdecken und Durchsetzen des eigenen Willens wichtige Meilensteine der kindlichen Entwicklung. Die so genannte Trotzphase ist – wie später auch die Pubertät – eine ganz normale und sogar wichtige Phase auf dem Weg zur Selbständigkeit und Eigenverantwortung. (Pubertät) Schon mit zehn oder zwölf Monaten beginnt ein Kind deutlich Wut und Ärger zu zeigen, wenn es nicht das bekommt, was es haben will. Lässt es sich in diesem Alter noch relativ leicht beruhigen, beginnt es ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr immer stärker nach Autonomie zu streben. Der eigene Wille des Kindes erwacht, und das „Ich will“ oder „Nein“ werden mächtiger. Das Kind möchte nun die Welt erobern, und das Formulieren eigener Wünsche spiegelt das wachsende Selbstwertgefühl des Kindes wider.

Kinder haben das Recht auf eine eigene Meinung

Dass die Förderung des eigenen Willens von großer Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes ist, darauf nimmt auch der Gesetzgeber Bezug. (Rechte der Kinder) Nach der Kinderrechtskonvention (Artikel 12, Absatz 2, Berücksichtigung des Kindeswillens) muss das Kind in allen es berührenden Gerichts- und Verwaltungsverfahren angehört werden. Eine bedeutende Vorschrift ist dazu die Bestimmung des Paragrafen 158 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit), nach der das Kind Anspruch auf einen „Verfahrensbeistand“ beziehungsweise „Anwalt des Kindes“ hat. (Ansprechpartner*innen für Kinder) Seine Aufgabe ist es, die Wünsche und Interessen des Kindes zu ergründen und zu vertreten.

Nicht immer ist der Wille eines Kindes auch zu dessen Wohl

Nicht immer ist der Wille eines Kindes dabei auch zu dessen Wohl. So möchte ein Kind zum Beispiel beim Vater leben, obwohl dieser es bereits mehrfach missbraucht hat, einfach weil es dort mehr Freizügigkeit oder Spielzeug erwartet. (Trennung und Scheidung)

Die Erfahrung, mit seinen eigenen Interessen und Wünschen ernst genommen zu werden, sind prägend für die Zukunft eines Kindes. Eine besondere Rolle spielen dabei die Reaktionen der Eltern auf den erwachenden Kindeswillen. Im Idealfall erfahren Kinder zuhause, dass es gut ist, einen eigenen Willen zu haben, auch wenn dieser von dem anderer abweicht. Wenn sie etwas anderes wollen als ihre Eltern, wissen sie trotzdem, dass es nichts daran ändert, dass ihre Eltern sie lieben: Der geliebte Besuch des Spielplatzes ist zwar heute ausgefallen, den Gute- Nacht-Kuss von Papa und Mama gibt es trotzdem.


Info

* Termine für Elternkurse in Mecklenburg-Vorpommern finden Sie auf: www.eltern-stark-machen.de sowie bei „Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. (03 85 - 4 79 15 69) 

* Die Internetseiten des Familienhandbuches bieten Eltern Informationen u. a. über die kindliche Entwicklung, Familienleben und Aktivitäten mit Kindern: www.familienhandbuch.de.