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V wie Verwahrlosung

Innere Armut

Madeleine ist kein einfaches Mädchen. Die Zwölfjährige schwänzt die Schule, zeigt für nichts Interesse und isst Unmengen an Süßigkeiten. Sie ist intelligent, aber phlegmatisch, urteilen ihre Lehrer. Sie sagt Verabredungen immer in der letzten Minute ab und erfindet Ausreden, sagt eine Freundin. Ihre Mutter ist verzweifelt, weil Madeleine immer dicker wird. „Von dem Geld, das ich ihr fürs Mittagsessen gebe, kauft sie Unmengen von Schokolade“, beschwert sich die engagierte Geschäftsfrau.

Zu viele Geschenke und zu wenig Liebe

So wie Madeleine geht es auch anderen Kindern in Deutschland. Materiell gut versorgt, fehlt es ihnen zu Hause jedoch an emotionaler Zuwendung und Liebe. Wenn der Hund stirbt, erhalten sie keinen Trost von ihren Eltern und bleiben mit ihrer Trauer allein. Es gibt wenig gemeinsame Zeit, dafür umso mehr Geschenke. (Zeit für Kinder) Kinderschützer kennen das Phänomen und nennen es Wohlstandsverwahrlosung. Eine mögliche Folge ist, dass sich die Persönlichkeitsentwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen verzögert. Dies zeigt sich zum Beispiel in erhöhter Aggressivität, vermindertem Mitgefühl und Bindungsunfähigkeit. Manche werden straffällig. Ärzte sehen auch das schwere Übergewicht vieler Minderjährigen als eine direkte Folge von mangelnder Zuwendung.

Ähnliche Folgen, doch andere Ursachen hat eine Erziehung, bei der Kinder keine Grenzen bezüglich materieller Dinge kennen lernen. Die Eltern können ihren Kindern nichts abschlagen, weder das dritte Eis an diesem Tag, noch das neue Fahrrad oder das stundenlange Fernsehen. Häufig stumpfen die Kinder gegenüber dem Besonderen ab und entwickeln realitätsferne Vorstellungen, im Leben alles und sofort bekommen zu können.

Schmutz, Dreck und Hunger

Innere Armut ist eine Folge von Verwahrlosung. Und oft geht sie mit äußerer Armut Hand in Hand. Unter Verwahrlosung in Folge von Armut leidet in Deutschland eine wachsende Zahl von Kindern. Etwa 80.000 Kinder sind nach Schätzungen des Bielefelder Sozialwissenschaftlers Professor Klaus Hurrelmann deutschlandweit betroffen. Die Fotos, auf denen Kinder in halbdunklen Räumen sitzen, umgeben von Essensresten, räudigen Haustieren, leeren Flaschen und Abfall, bilden dabei nur die Spitze dieses Eisberges ab. Oft kommen zu den Geldsorgen der Eltern Alkoholprobleme, Gewalt und Hoffnungslosigkeit hinzu. Den Kindern fehlt es dann neben emotionaler Zuwendung und Ansprache auch an dem materiell Notwendigen: angemessene Kleidung, Hefte und Stifte für die Schule, regelmäßige Mahlzeiten. Häufige Folgen: Die Kinder können nicht richtig sprechen, sind fehlernährt, körperlich ungepflegt und häufig krank. Einige sind extrem aggressiv und kriminell auffällig, andere völlig distanzlos oder verängstigt. (Folgen von Kindeswohlgefährdung)

Verwahrlosung bedeutet nicht immer Schmutz, Dreck und Hunger. Es gibt eben auch die Verwahrlosung, die auf den ersten Blick ins gepflegte Reihenhaus nicht auffällt. Beim genauen Hinsehen sind die Folgen von Verwahrlosung jedoch sowohl in dem einen als auch in dem anderen Fall sichtbar. (Erkennen von Kindeswohlgefährdung). Darin liegt die Chance, betroffenen Kindern und deren Eltern frühzeitig zu helfen.


Info

* Anonyme und unverbindliche Informationen zu Essstörungen gibt es im Internet auf www.hungrig-online.de.